Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz in Bruck

Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz in Bruck

von Toni Drexler

 

Vor etwa 35 Jahren ging ich an einem schönen Frühlingstag nach einem konzentrierten Arbeitstag im Staatsarchiv München die Ludwigstraße entlang zur U-Bahn. Etwa in Höhe der Bayerischen Staatsbibliothek – bei den von den Münchnern so genannten „vier Heiligen“ (die Philosophen Aristoteles, Homer, Thukydides und Hippokrates) – kam ich mit einem älteren Herrn ins Gespräch. Auf seine Frage, wo ich herkäme, antwortete ich, nicht ganz wahrheitsgemäß, aus Fürstenfeldbruck. Worauf er mir eine „unglaubliche“ Geschichte aus der Geschichte erzählte: „So, so, aus Bruck, dort wo einst der berühmte Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz eine Geiselung eines Kruzifixes auf der Amperbrücke beobachtete.“ Er erzählte mir noch einiges über diesen seltsamen Vorfall bis sich unsere Wege wieder trennten. Erst als er verschwunden war, kam mir, dass ich ihn weder nach seinem Namen gefragt, noch nach der Quelle dieser Geschichte mich erkundigt hatte. Alle geschichtsinteressierten Bekannten, die ich fragte, hatten davon noch nichts gehört. Also musste ich mich selbst daran machen, in der Staatsbibliothek in den Biographien über Leibnitz nach diesem Vorfall zu suchen. Schließlich fand ich auch diese Passage über die Geißelung des Kreuzes in Bruck.

In seinem Beitrag über Literatur und Theater im Landkreis Fürstenfeldbruck im Landkreisbuch von 1992 beschreibt Rainer Schöller diese interessante Geschichte,  die sich vor mehr als 300 Jahren in Fürstenfeldbruck zugetragen hat:

Die Bürger des Marktes Bruck spielten wie in vielen anderen altbayerischen Orten auch seit alters während der Fastenzeit ein Passionsspiel, das am Karfreitag mit einer Prozession von der Pfarrkirche zur Klosterkirche Fürstenfeld endete, woran alle, die beim Passionsspiel mitgewirkt hatten, in ihren Kostümierungen teilnahmen. Zeuge dieser Prozession wurde der berühmte Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, als er im April 1688 auf dem Weg von Augsburg nach Mün­chen durch Bruck kam. Ihn beeindruckte vor allem eine Szene so nachhaltig, dass er darüber der Herzogin Sophie von Braunschweig-Lüneburg berichtete:

»Am Karfreitag hielt ich bei meiner Rückreise nach München in einem kleinen Ort namens Bruck, der 3 Meilen von Mün­chen entfernt liegt, nahe einer Brücke an, weil eine Prozession dieselbe überquerte. Inmitten der Prozession sah ich vier Männer, die in ihrer Mitte einen Menschen führten, schlugen und herumzerrten, der unseren Herrn Jesus Christus dar­stellte. Als diese Gruppe an dem Kruzifix vorbeikam, das auf der Brücke stand, schlug einer der vier Männer anstatt auf den Christusdarsteller, den man führte, auf eben dieses Kru­zifix ein. Das erschien mir außergewöhnlich.« Das Züchtigen eines Kruzifixes erstaunte und verwunderte Leibniz dermaßen, dass er in anderem Zusammenhang noch­mals auf dieses Erlebnis einging. Die Schilderung dieser Begebenheit zeigt das lebhafte Interesse des reisenden Ge­lehrten aus dem protestantischen Norden für die andersartige Welt des süddeutschen Katholizismus. Ein kurz vor 1701 ent­standener Kupferstich von Michael Wening weist das Kruzi­fix auf der Brucker Amperbrücke noch nach. Am 31. März 1770 erließ die kurfürstliche Regierung zu München ein Generalverbot aller Passionsspiele im ganzen Land. Der aufgeklärte Staat war in Abstimmung mit den Bischöfen der Meinung, »daß das größte Geheimniß unserer heiligen Religion einmal nicht auf die Schaubühne gehöre«. Das Generalverbot betraf rund 150 Passionsspielorte in Alt­bayern.

Nach dem Regierungsantritt des Kurfürsten Carl Theodor (1778) erschien zwar kein Widerruf des General­mandates vom 31. März 1770, es wurde aber schon am 6. Fe­bruar 1778 den Stadtmusikanten in München, dann auch in der Folgezeit den Markt- und Stadtgemeinden Kraiburg, Moosburg, Aibling, Wolfratshausen, Tölz, Schwaben, Schon­gau und anderen gestattet, zur Fastenzeit und beziehungs­weise auch in der Karwoche die Passionstragödien wieder wie ehedem öffentlich aufzuführen und »auf eine schickliche Weise« darzustellen. Das ermutigte die Bürgerschaft zu Bruck im Jahre 1786, um die Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Passionsspieles nachzusuchen, wie ein Bittgesuch be­weist. Nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe bewogen die Brucker Bürger zu diesem Schritt, wie es folgender Auszug darlegt:

»Unser Markt Bruck hat Überhaupts wenig Vortheile und die Bürgersglieder wenig Einkünfte. Die wichtigste und vortheilhafteste Zeit war allzeit die Charwoche, in welcher jedesmal eine große Menge von Bauers- und anderen Leuthen sich bloß wegen der eingangs bemeldten Passionsvorstellung und Prozessionshaltung bei uns eingefunden, mit dieser Gelegen­heit viel Geld verzehrt, und viele Nothwendigkeiten von je­dem Handwerke erkauft hatten.«

Bruck wurde auf dieses Gesuch hin die Abhaltung des Pas­sionsspieles wieder erlaubt, das sich bis zur Aufhebung des Klosters erhalten haben soll.

Vielleicht war der freundliche ältere Herr an jenem schönen Frühlingstag vor der Staatsbibliothek ja tatsächlich ein Wiedergänger des großen Gottfried Wilhelm Leibniz, der mir seine Geschichte über Bruck anvertrauen wollte.

 

Ausschnitt aus dem Kupferstich von Michael Wening von Bruck 1701 mit Amperbrücke an der ein Kreuz an nördlichen Aufgang stand. Heute ist dort eine Figur des Hl. Johannes Nepomuk.

 

 

Literaturhinweis :

  1. Busley, T. Drexler, C. Hoffmann, P. Salzmann, K. Wollenberg: Der Landkreis Fürstenfeldbruck, Natur-Geschichte-Kultur, Fürstenfeldbruck 1992;

Otto Bauer: Chronik von Fürstenfeldbruck von Jakob Groß 1877, Fürstenfeldbruck 1984.

 

 

Bildnachweise: Ausschnitt aus dem Kupferstich von Michael Wening von Bruck 1701

Bildnis des Philosophen Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz von Christoph Bernhard Franke, Wikipedia, Gemeinfrei

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